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  • Klaus Meitinger

Surprise, surprise.

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten)

Surprise, surprise.

Außenseiterchancen. Überraschungen sind keine Prognosen, sondern eher das Gegenteil. Weil kaum einer mit ihrem Eintreten rechnet, können sie große Auswirkungen auf die Kapitalmärkte haben. Deshalb befragte private wealth sein Netzwerk – Chefstrategen von Banken, Vermögensverwalter und Family Officer. Was kann 2016 passieren, das heute noch niemand auf der Rechnung hat?

Nach dem klaren Votum der Bürger gegen Europa tritt Großbritannien am 12. Oktober 2016 aus der Europäischen Union aus. Auch die osteuropäischen Staaten stellen ein Ultimatum. Sie wollen die gemeinsame Politik in der Flüchtlingsfrage nicht mehr mittragen. Europa driftet auseinander. Und plötzlich stellt sich die Frage: Macht der Euro dann überhaupt noch Sinn?

Unmöglich? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. In der angelsächsischen Welt ist es eine hübsche Tradition, am Jahres­ende Ideen mit Überraschungspotenzial zu entwickeln. Dabei geht es ausdrück­lich um Entwicklungen, die möglich, aber nicht wahrscheinlich sind. Weil sie heute noch kaum einer auf der Rechnung hat, wären die Auswirkungen an den Kapitalmärkten aber groß.

Um einen möglichst breiten Pool interessanter Ideen zu generieren, befragte private wealth sein Netzwerk – Ban­kiers, Chefstrategen, Vermögensverwalter und Family Officer. Das Ergebnis sind die „Ten Surprises of 2016“.

Am häufigsten befassten sich die Rück­meldungen mit dem Thema Europa. Mit Sorge wird auf die Wahlen in Spanien am 20. Dezember 2015 und auf die Umfragen zur Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017 hingewiesen. Wie werden die radikalen Parteien abschneiden?

Gut möglich, dass 2016 ein Jahr der Bewährungsprobe für das Projekt Europa wird. Lange galt als Begründung dafür, den Euro „koste es, was es wolle“ zu verteidigen, dass nur so der Weg zur gewünschten europäischen Union umgesetzt werden könne. Mit der Flüchtlingsfrage stehe nun die Idee dieser immer größeren, immer engeren Union selbst zur Debatte. Wie soll eine politische Union mit allen Facetten – Außenpolitik, Fiskalpolitik, Steuerpolitik, Sozialpolitik – funktionieren, wenn die Solidarität und die europäischen Werte nicht ausreichen, um sich gemeinsam und in einer gerechten Art und Weise der Flüchtlingsfrage zu stellen? Und müsse dann nicht auch wieder die Frage der Währungsunion und ihrer Mitglieder diskutiert werden?

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Großbritannien innerhalb der nächsten 18 Monate über den sogenannten Brexit, den Austritt aus der Europäischen Union, abstimmen will. Premierminister David Cameron wird seine Empfehlung „Pro Europa“ von Konzessionen aus Brüssel abhängig machen. Dabei wird es um eine Kürzung von Sozialleistungen für Bürger aus EU-Mitgliedsstaaten gehen, die nach Großbritannien einwandern. Und darum, dass 25 Prozent der Länderparlamente Vorschläge der Europäischen Kommission einfach ablehnen können.

Allein dies könnte zum Spaltpilz in Europa werden. Doch selbst wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen, ist ein Ja zur EU nicht sicher. „Die öffentliche Meinung scheint in Großbritannien derzeit zu kippen“, beobachtet Thomas Domeratzki von der Bethmann Bank.

Driftet die EU tatsächlich auseinander, wäre wohl auch die Eurokrise sofort zurück. Für Turbulenzen könnten aber noch andere Überraschungen sorgen.

01. Eurokrise reloaded.

„Eine durchaus denkbare Möglichkeit ist, dass Alexis Tsipras das Vertrauen der Bevölkerung und seiner Partei verliert“, überlegt Wolfgang Leoni, Vorsitzender des Vorstands beim Bankhaus Sal. Oppenheim: „Käme es dann noch einmal zu Neuwahlen und würden danach radikale Parteien die Regierung bilden, würden die mit der EU vereinbarten Reformen nicht umgesetzt.“ Das wäre wohl das Aus für Griechenland.

Ein dauerhaftes „Weiter so“ kann sich auch Daniel Fechtelpeter, Bankhaus Lampe, nicht vorstellen: „Beide Seiten – Griechenland wie die EU – sind von der Einigung nicht überzeugt. Wir identifizieren vier Auslöser für Spannungen – unzureichende reale Abwertung, zunehmende soziale Konflikte, Abweichungen von den Zusagen bei der Umsetzung der Reformen und den Rückzug des IWF.“ Ein Grexit werde sich zwar nicht sofort einstellen. Zu groß seien die Sorgen vor einem ,Grexitus‘ und sicherheitspolitische Bedenken. „Um dennoch Neues bei der Krisenbewältigung zu wagen, dürften Politiker aber auf Zweijahressicht eine Parallelwährung in Griechenland einführen“, meint Fechtelpeter: „Die Euromitgliedschaft des Landes wäre dann keine vollwertige mehr und der Grexit light der letzte Beleg dafür, dass die Unumkehrbarkeit der Währungsunion nur auf dem Papier steht.“

02. Verwirrung um China.

„Die offiziellen Wachstumsraten in China werden auch in den nächsten Quartalen weiter sinken“, überlegt Daniel Fechtelpeter weiter. Vor allem aufgrund der hohen Verschuldung würden die von den Marktteilnehmern erwarteten 6,8 Prozent nicht zu schaffen sein – „wir rechnen mit 6,3 Prozent.“

Eigentlich ist das kein Beinbruch. Für viele Investoren werde sich diese weiche Landung aber ziemlich hart anfühlen: „Wachstumsenttäuschungen aus China werden auch 2016 immer wieder für Turbulenzen sorgen“, meint der Stratege: „Das sind dann aber Kaufgelegenheiten. Denn Sorgen um einen ernsten Aufprall sind verfrüht. Die Regierung kann noch reichlich gegensteuern. Neben der Zins- und Währungspolitik sind Maßnahmen zur Ankurbelung des Konsums sowie weitere Infrastruktur-Investitionen möglich.“

03. Globale Rezession.

„Nach sechs Jahren Aufschwung wäre ein normaler zyklischer Abschwung einfach fällig“, meint Joachim Meyer, Meyer & Cie. Allokationsberatung. Momentan sorgten nur die Konsumenten in den Industrieländern für Wachstum – und zwar dank extrem niedriger Zinsen auf Pump. „Aber Schulden sind nur ein Strohfeuer und bringen uns nicht auf einen höheren Wachstumspfad. Die Inves­titionen kommen einfach nicht in Schwung.“ „Die Notenbanken würden dann zwar noch mehr Gas geben. Wird aber deutlich, dass dies auch nichts hilft, verlieren sie das Vertrauen der Anleger“, spinnt Thomas Domeratzki, Bethmann Bank, den Faden fort: „Die Konsequenz wären fallende Aktien- und steigende Anleihekurse: In einem derartigen Umfeld könnte die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen negativ werden.“

04. Übernahme Deutsche Bank.

„Die Deutsche Bank ist ein klassischer Übernahmekandidat“, meint Prochnow-Ast: „Die Einschnitte sind tief, die Herausforderungen groß, die Kapitalmarktbewertung niedrig – die Deutsche Bank ist nur 35 Milliarden Euro wert, genauso viel wie die Société Générale. Noch existieren zwar ,Giftpillen‘ in Form von Rechtsstreitigkeiten und Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Postbank-Börsengang. Sobald sich hier aber die ersten Erfolge abzeichnen, wäre es durchaus möglich, dass sich Hedgefonds auf die Aktien der Deutschen Bank stürzen. 2008 gab es mit der ABN Amro Bank bereits einen ähnlichen Fall.“

05. Lateinamerika leidet.

„Alle schauen nach Asien. Doch das Risiko einer Krise ist in Lateinamerika viel größer“, meint  Thomas Domeratzki. Käme es angesichts anhaltend niedriger Rohstoffpreise zu vielen Pleiten in diesem Sektor, wären auch die Staatshaushalte in Brasilien, Chile, Peru und vielen anderen Ländern betroffen. Der brasilianische Staat besitze zum Beispiel 80 Prozent an Petrobras. „Die Asienkrise hat in den 1990ern gezeigt, wie die   > Probleme von einem Land auf das andere überspringen können. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass wir 2016 Ähnliches in Lateinamerika erleben.“

06. Comeback des Real.

Eine positive Überraschung kann sich dagegen Alexander Prochnow-Ast, Family Office Volksbank Kraichgau, in Brasilien vorstellen. Dort wird für 2015 ein Rückgang des Sozialprodukts um rund drei Prozent erwartet. Angesichts von stockenden Reformen, fallenden Rohstoffpreisen und Korruptionsskandalen hat der Real gegenüber dem US-Dollar in diesem Jahr bereits über 40 Prozent seines Werts verloren. „Die meisten Marktteilnehmer gehen davon aus, dass sich die Rohstoffpreise nicht erholen und die politische ,Schockstarre‘ in Brasilien anhält. Angesichts der hohen Zinsen – Real-Bonds bringen über zwölf Prozent – und des nun schon sehr niedrigen Niveaus der Währung genügen aber kleinste Verbesserungen, um den Trend bei den Kapitalflüssen zu drehen – Real und Real-Anleihen könnten Rück­enwind erhalten.“

07. Donald Trump for president.

Im Vorwahlkampf der Republikaner ist der Unternehmer und Milliardär immer noch mit an der Spitze. Es wäre nicht das erste Mal, dass Amerika eine ungewöhnliche Wahlentscheidung trifft. „Trump steht für eine nationale Politik der Abschottung. Er würde die weiße Mittelklasse stützen, die sich auf dem absteigenden Ast wähnt“, überlegt Thomas Domeratzki. Wirtschaftspolitisch seien Steuersenkungen zu erwarten: „Kurzfristig hätte dies wohl einen positiven Effekt auf Firmenerträge und Aktienkurse. Langfristig wäre aber der Schaden durch eine Renationalisierung der US-Wirtschaft größer. Denn die USA sind auf Zuwanderung angewiesen.“

08. Neue Steuern für Anleger.

„Ich glaube, dass die Abgeltungsteuer bald der Vergangenheit angehört“, vermutet Volker Schilling, Greiff Capital Management: „Kapitalerträge und Kursgewinne müssten dann wieder zum persönlichen Steuersatz versteuert werden.“ Diese – auf den ersten Blick – negative Entwicklung für Anleger könnte ins Positive gedreht werden, wenn es gelänge, etwas für die Aktienkultur zu tun. „Ich hoffe, dass dann auch wieder eine Spekulationsfrist vereinbart wird, nach deren Ablauf Kursgewinne steuerfrei sind“, meint Schilling: „Eine Haltefrist von fünf Jahren wäre das richtige Signal: Es würde unterstreichen, dass Aktien eine langfristige Anlage sind.“

               

09. Eurozinsen steigen.

„Die EZB hat schon sprichwörtlich die Bazooka ausgepackt und kauft seit März 2015 monatlich im Gegenwert von 60 Milliarden Euro Staats- und staatsnahe Anleihen auf. Vor wenigen Tagen hat EZB-Chef Mario Draghi angekündigt, diese Bazooka eventuell noch einmal nachzuladen“, informiert Prochnow-Ast: „Deshalb rechnen die meisten Experten für 2016 mit weiter sinkenden europäischen Anleihezinsen. Im schlechtesten Fall gehen sie von einer Seitwärtsbewegung aus. Die Überraschung? Die Anleihezinsen steigen – unerwartet und sehr schnell –, so wie wir es bereits im Frühsommer 2015 erlebt haben. In der Folge werden wieder viele Marktteilnehmer ihre Risikobudgets ausgeschöpft haben und danach erneut

andere Anlageklassen verkaufen, um Verluste auszugleichen. Es wird turbulent.“

               

10. Die FED gibt wieder Gas.

„Weil die Kapitalmärkte angesichts der ersten Zinserhöhung der US-Notenbank überraschend stark reagieren – es kommt zu deutlich steigenden Renditen und fallenden Aktienkursen –, nimmt die Fed ihre Leitzinserhöhungen sofort wieder zurück“, erwägt Wolfgang Leoni, Sal. Oppenheim: „Verbraucher und Unternehmer reagieren darauf verschreckt und halten sich beim Konsum sowie bei Investitionen zurück. Auf viel niedrigerem Niveau ergeben sich wunderbare Kaufgelegenheiten – erst bei US-Anleihen, dann am US-Aktienmarkt.“ ®

 

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